Zum Frauentag 2019 haben wir auf Instagram und Facebook an das Rad als Wegbereiter der Emanzipation erinnert. Letztes Jahr haben wir das in einem Blog-Beitrag im Detail erklärt. (Den Beitrag kannst du hier noch einmal nachlesen.) Dieses Jahr sagen wir: noch hat die Fahrradindustrie keinen Grund, sich selbst zu feiern. Wir haben leider neben der Emanzipation auch der Diskriminierung Vorschub geleistet. Unser Sexismus fängt subtil an, nämlich dort, wo wir Rahmenformen zu Herren- und Damenrädern erklären.
Inhaltsverzeichnis
Rahmenformen sind nicht sexistisch. Labels sind es.
Das „klassische Herrenrad“ ist in unserer Vorstellung ein Rad mit einem Oberrohr, das annähernd parallel zum Boden verläuft. Dem stellen wir als „Damenrad“ den Tiefeinsteiger gegenüber und Räder mit stärker abfallenden Oberrohren. Um Geschlechterlabels zu vermeiden, sprechen manche Hersteller auch von Diamant-Rahmen, Wave-Rahmen und Trapez-Rahmen. „Damenräder“ wurden entwickelt, damit Frauen im üblichen Kleid und Rock bequem auf- und absteigen konnten. Die Kleidung kam so auch nicht dem Rahmen in die Quere.
Das war ein legitimer Ansatz, aber das Label zementierte diese Idee vom Damenrad: es ist weniger sportlich, weniger schnell, weniger stabil, weniger „echtes Rad“. Und: eine Frau auf dem Rad muss grazil ausschauen, muss adrett gekleidet sein und auf einem „Herrenrad“ hat sie nichts zu suchen.
Natürlich *dürfen* Frauen grazil und adrett ausschauen. Natürlich ist es längst selbstverständlich, dass auch Herren auf Tiefeinsteiger-Fahrrädern fahren – und zwar nicht nur Rentner. In Holland ist das genauso gang und gebe wie in vielen deutschen Großstädten. Männer mit kurzen Beinen, die statt einem Tiefeinsteiger ein sportlicheres Rad suchen, fahren auch seit Jahr und Tag Trapez-Rahmen. Also alles gut? Na ja, fast.
Unsere Bilder, Filter und Velo-Namen erzählen eine Geschichte
So sieht die Realität aus: Wenn wir „Herrenräder“ fotografieren, fotografieren wir diese Räder immer mit Herren. Wir, also Diamant, aber auch die ganze Fahrradindustrie einschließlich Kalkhoff, Cube und Pegasus. Auf Tiefeinsteiger setzen wir meist ältere Menschen. Nur bei E-Bikes beginnt sich dies langsam zu ändern.
Wenn wir online Filter anbieten, um unsere Sortimente zu sortieren, dann lassen wir oft die Wahl von Herren- und Damenrahmen zu. Wer dann als Frau ein Rad mit klassischem Oberrohr sucht, muss „Herrenrahmen“ wählen. So diskriminieren wir ungewollt und nebenbei trotz eigentlich guter Absicht. Wir bieten diese Filter an, weil natürlich viele Menschen nach diesen Begriffen suchen. „Diamant“, „Trapez“ und „Wave“ dagegen sagen vielen Menschen wenig.
Wir haben diesen Winter studiert, wie das unsere Mitbewerber halten, wenn es um ihre Rahmenbezeichnungen und Modellnamen geht. Von den 40 wichtigsten Herstellern im deutschsprachigen Raum nutzen über 50% Gender-Labels. Manchmal ist es nur ein Buchstabe (G für Gents, also Herren, W oder L für Women bzw. Lady). Bei denen, die es vermeiden, gibt es keinen klaren Standard – und manchmal gar keine Labels. Unsere amerikanische Schwestermarke Electra löst es elegant mit „Step-over“ und „Step-through“.
Das ändert Diamant: Unsere Kommunikation
Englische Begriffe funktionieren für Diamant nicht. Seit September nutzen wir „Herren-/Diamant-Rahmen“, um klarzustellen, dass wir nicht mehr als eine Rahmenform meinen. Weil Diamant, die Marke, und Diamant-Rahmen nichts miteinander zu tun haben, aber verwirrend identisch klingen, greifen wir auf diese Hilfskonstruktion zurück. Das geht trotzdem besser. Nämlich ganz ohne. Auch wir brauchen nicht immer eine Kennzeichnung. Wo sie nötig ist, stellen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt (noch im März 2021) um auf:
- Herren-/Diamantrahmen kennzeichnen wir mit „Einstieg: hoch“.
- Trapezrahmen kennzeichnen wir mit „Einstieg: mittel“.
- Tiefeinsteiger kennzeichnen wir mit „Einstieg: tief“.
Man soll sich nicht mit fremden Lorbeeren schmücken: Wir orientieren uns hier an Electra, Flyer und Gazelle. Effektiv ist der Unterschied zwischen den Rädern die Einstiegshöhe. Die ist nicht ans Geschlecht gekoppelt. Also kommunizieren wir das Geschlecht nicht mehr mit, sondern den funktionalen Unterschied. Ab Modelljahr 2023 (=Juli 2022) verwenden wir bei neuen Modellen auch die internen Modell-Kürzel HER, TRA und TIE nicht mehr, sondern ersetzen sie durch HCH, MIT und TIE. Dann verschwinden sie auch aus den URLs.
Auf diamantrad.com findest du zwei Seiten für Herrenräder und Damenräder. Diese haben wir aus SEO-Gründen eingerichtet. Menschen nutzen diese Suchbegriffe. Wir werden sie aber inhaltlich neu aufstellen. Wir werden erklären, auf welche ergonomischen Merkmale Männer und Frauen tatsächlich achten sollten. Unterschiede gibt es tatsächlich, nur haben die nichts zu tun mit Kleidungsstil und. Das können Sattel, Vorbaulänge, Lenkerbreite und Überstandshöhe sein. Das wollen wir bis zum Start unseres nächsten Kollektionsrades im Sommer 2021 umsetzen.
Du möchtest mehr Lifestyle-Stories? Dann besuche gerne mal unsere Übersichtsseite zu Diamantrad News. Viel Spaß beim Stöbern!
Das ändert Diamant: Unsere Bilder
Im letzten Jahr haben wir sehr bewusst eine Frau auf unser Kollektionsrad gesetzt. Nach zehn Jahren war das lange überfällig. Kollektionsräder inspirieren alle Diamant-Fahrer. Wir haben auch bei anderen Rädern Frauen in den Mittelpunkt gestellt – und auf das 885 mit klassischem Oberrohr die gleiche Person gesetzt wie auf unser sehr feminines Stil-Pedelec Juna+. Botschaft: die Vielfältigkeit des Menschen zeigt sich schon in einer einzelnen Person.
Wir werden auch in Zukunft die Geschlechter auf den Rädern flexibler denken. Wir wissen auch: manche Räder verkaufen sich de facto weit überwiegend an Frauen – hier werden wir seltener einen Mann einsetzen als bei Rädern, wo das Verhältnis ausgeglichener ist. Ein Beispiel dafür ist sicherlich das Topas, das wir für eine bestimmte, vermutlich dominant weibliche Zielgruppe gestaltet haben. Ein anderes Beispiel ist das 247 mit mittlerem Einstieg in Atlaszeder Metallic. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass wir uns alle weiblichen Diamantiker so vorstellen.
Wir werden Diversität nicht nur in Bezug aufs Geschlecht, sondern grundsätzlich mitdenken. Unsere ältesten Models saßen auf unseren sportlichsten E-Bikes. Unser Produktmanager fährt selbst ein Zouma Supreme+ S mit Trapez-Rahmen. So weit, so gut. Manchmal zeigt sich das nicht oder erst im Verlauf mehrerer Jahre, wenn das Angebot an Sportmodels mit Bike-Erfahrung uns Grenzen setzt. Einen roten Faden wollen wir aber sichtbar gestalten.
Ist das wirklich nötig?
Die Fahrradindustrie und der Radsport sind sehr männlich geprägt. Auch unsere Social Media-Fans sind zu über 70% männlich. Das heißt nicht automatisch, dass es ein sexistisches Umfeld ist. Nur: Die Welt braucht den mobilen Wandel und das Fahrrad spielt darin eine wichtige Rolle. Die Welt besteht aber zu 50% aus Frauen und in der Praxis fahren viele von ihnen eben kein Rad mit tiefem Einstieg.
Ja, es ist nötig, dass wir uns einmal Gedanken machen. Nein, wir nehmen keinem seine Identität weg, wenn wir ein Fahrrad nicht mehr als „Herrenrad“ oder „Damenrad“ bezeichnen.
Ja, wir haben diskriminiert. Nein, wir haben nicht bewusst diskriminiert.
Ja, wir brauchen etwas Zeit für unseren eigenen Übergang. Nein, wir schreiben keinem Händler und keinen Kunden eine neue Sprache vor.
Ja, wir können es trotzdem besser machen und dann weiter Spaß am Radeln haben. Alle.