Na, schon gespannt wie es mit Chasing Currents weitergeht? Hier ist Teil 5 für dich. Annie wechselt zum ersten Mal vom Fahrrad auf das Raft und kommt zügig voran. Vielleicht zu zügig?
DER ERSTE TAG AUF DEM WASSER
Es ist der erste Tag auf dem Raft – und ich weiß genau, dass ich auch auf diesem Raft heute Tschechien verlassen werde. Auch wenn ich aktuell nervös dem Gewitter entgegen schaue und an einem kleinen Kiesstrand auf das Filmteam warte. Schon seit zwei Stunden. Aber theoretisch sollte das jederzeit hier ankommen.
Mein erster Tag auf dem Wasser mit meinem Bikerafting-Setup ist genial. Allein der Fakt, dass ich mir Wasser über den Kopf kippen kann, um nicht völlig an der Hitze zu ergehen, ist ein Geschenk der Flussgötter. Die Elbe hat rund um Decin sogar etwas Strömung, man will es kaum glauben. Ich komme schnell voran. Fast schon zu schnell. Als ich einem Motorboot ausweichen will und zu nah ans Ufer paddel, wickel ich mich und “Bumblebee” (mein Raft) vor lauter Speed fast um den nächsten Brückenpfeiler.
Mango (mein Rad) festbinden hat sofort funktioniert – und dabei hatte ich das ganze nur ein einziges Mal zuhause an der Spree ausgetestet. Da hatte ich noch Internetverbindung und Zugang zur YouTube University. Aber heute früh ging es wie von allein. Nach dem Aufblasen des Rafts, fixiere ich das Rad mit zwei je einen Meter langen Zurrgurten an der Spitze des Rafts. Ich stelle sicher, den Lenker zu drehen, so dass das Licht nach oben gerichtet zu liegen käme. Mein Test-Setup hatte mir gezeigt, dass das Raft so sauber und gerade ausgerichtet auf der Front liegen würde, das Gewicht vom Rad gut ausbalanciert. Ein Schlüsselmoment beim Fixieren ist genau diese Balance: Das Raft soll sich in keine bestimmte Richtung lehnen (nach vorne oder zur Seite). Das würde sonst mehr Widerstand erzeugen, wenn z.B. der Lenker im Wasser hängen würde. Und, wirklich, ein Gefährt, das ohnehin schon so sehr durch Wind und Wellen beeinflusst wird, möchte man sonst von jeder Form von zusätzlichen Widerstand befreien.
Das ganze Gebinde endet damit, das Vorderrad am Rahmen anzubringen (dafür nutze ich zwei weitere 50cm lange Zurrgurte), meine Dry-Bag unter das Rad zu schieben und eine Fahrradtasche am Rad einzuhängen. Der Prozess dauert 28 Minuten – einschließlich dem Aufpumpen des Rafts ganz am Anfang. Das kann selbst schon 10 Minuten in Anspruch nehmen.
Ich gebe zu, das meiste hatte ich schon am Vorabend vorbereitet. Aber stolz auf die 28 Minuten Aufbauzeit bin ich trotzdem.
Ich habe auch zur Abwechslung mal wieder das Filmteam gesehen – und zwar völlig zufällig knappe 800m flussabwärts von meiner Campsite. Roy ist auf mich in einem aufgeknöpften Hawaiihemd zugerannt, einen Becher Maté-Tee in der Hand. “Wir haben das Motorboot aufgebaut, wir holen dich später gleich ein und sammeln dann Filmmaterial. Fahr du schon mal vor, du bist sicher langsamer!” Und so habe ich mich zum zweiten Mal an diesem Morgen von der felsigen Küste abgestoßen. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit hat mir die nicht enden wollende Hitzewelle überhaupt nichts ausgemacht. Ich habe vollkommen zufrieden in meinem kleinen Boot gesessen, einen Fuß über Bord hängend, den anderen an den Rahmen meines Fahrrads gelehnt. Schon so ein bisschen Huckleberry Annie.
Herrlich.
Aber als nach mehreren Stunden weder das Filmteam etwas von sich hat hören lassen noch die Gewitterwolken in eine ungefährliche Richtung weggezogen sind, bin ich wieder nervös geworden (und ein bisschen grantig). Roy meldet sich endlich, als die ersten Regentropfen fielen. “Wir haben einen Motorschaden. Paddel ohne uns weiter!”
Und so lasse ich wieder einmal das Filmteam zurück und paddel allein über die tschechisch-deutsche Grenze. Filmen tu ich selbst. Mit dem Handy.
Es sollen ja auch schon Oscar-prämierte Filme auf dem iPhone gedreht worden sein.
Als Solo-Abenteurer:in bist du allein unterwegs, aber selten einsam. Ich lerne schon dadurch Menschen kennen, weil ich nett frage, ob ich in ihrem Garten zelten kann. Oder man sucht Unterschlupf während eines heftigen, plötzlichen Gewitters. (So ging es der Filmcrew. In der Garage, in der sie sich unterstellen durften, grüßte sie der Besitzer mit Wein auf einem Tablett.) Allgemein hilft es, “offen” zu sein. Das heißt für mich auch, geduldig zu sein: Denn manche Fragen hört man vielleicht schon zum zehnten Mal… („Wie bekommst du so viel Gepäck auf einem Floss unter?“ – „Wohin geht’s?“ – „Du machst das ganz alleine?!“) … und trotzdem schenkt man dann der Person das Gefühl und den Humor, als wären diese Fragen für alle Beteiligten ganz neu. Dann kommt die Interaktion schon ganz von allein. Zeit nehme ich mir dafür besonders dann viel, wenn ich den Sinn meines eigenen Abenteuers gerade nicht erkenne. Oder die Gegend kennenlernen will und verstehen möchte, wie die Menschen hier so ticken. Wenn das Gespräch dann gut ist, schaue ich auch nicht auf die Uhr – und so kommt der Zeitverzug dann wieder rein, der mich später wieder auf Trab hält. Aber für ein gutes Gespräch mit Menschen, die völlig anders sind und denken als ich, würde ich auf langen Reisen fast alles in Kauf nehmen.
An manchen Tagen heißt es allerdings wirklich: Meter machen! Aber selbst dabei kommen Menschen ab und an gern mit. Auf dem Rad. Oder langsam gehend am Strand. Mit Gegenwind im Packraft kommt man wirklich nicht schnell voran….). Ich persönlich mag die Menschen am liebsten, die mir gleich noch mein Wasser auffüllen. Essen und Snacks habe ich dank meines ausgeprägten Hamster-Verhaltens meist genug, aber Wasser?! Davon hat man nie genug.
Gerade als Solo-Reisende ist es wichtig zu vertrauen: anderen, aber auch dir selbst. Ich habe gelernt, auf Intuition zu hören. Denn die macht das meistens schon sehr gut für einen. Bei den Menschen, die einem ein mulmiges Gefühl geben, fährt man einfach (freundlich) weiter. Klar, die haben vielleicht nicht mal was gemacht, aber in den meisten Fällen ist dem Bauchgefühl etwas aufgefallen, was dem Bewusstsein durch die Lappen gegangen ist. Und wenn man allein reist, heißt es mit besonders gutem Grund: „Better safe than sorry.“
Hamburg rückt immer näher. Allerdings sorgt die Hitze und der Wasserpegel für Probleme. Jetzt heißt es erneut: Umsteigen auf das Fahrrad. Mehr dazu: Bikerafting entlang und auf der Elbe – Teil 6